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Willkommen Herbst und Winter

Gott sei Dank, der Sommer ist vorbei

von Angelika Petrich-Hornetz

Oktober. Auf der Nordhalbkugel beginnen nun wieder die dunklen Monate – und die kalten. Die Klage, die Ferien, der Urlaub, der Sommer seien viel zu schnell vergangen, ist daher überall wieder anlässlich der länger werdenden Nächte zu hören. Und sie haben recht, die Klagenden, oder doch nicht?

Haare im  Wind Eindeutig ist der Sommer die schönere - und die günstigere Jahreszeit. Können Sie die Ankündigungen für Preiserhöhungen der Strom- und Gaskonzerne etwa noch hören und zählen, oder haben Sie den Überblick auch längst verloren? Die Preisschocks für die Energiekosten im Winter werden uns auch in den nächsten Jahren regelmäßig kalt erwischen. Da nützt auch die Empfehlung eines Berliner Innensenators nichts, bei 16 Grad Innentemperatur einen Pullover mehr anzuziehen, denn wer nicht richtig heizt und lüftet, riskiert Schimmel in der Wohnung. Der ist noch viel teurer und ungesünder, als nur zu frieren.

Klimafreundlicher und gesünder scheint der Sommer auch zu sein. Regelmäßig nimmt mit dem Beginn des Winters die Nutzung von Fahrrädern für den Weg zur Arbeit, und damit die alltägliche Bewegung in frischer Luft deutlich ab. Zwar ist die Zweirad-Branche allgemein ein Gewinner steigender Energiekosten - geschätztes Wachstum +4 Prozent im laufenden Jahr -, doch mit sinkenden Temperaturen steigen die Zahlen der Fahrgäste in Bus und Bahn gemeinsam mit denen der Autofahrer regelmäßig an. Und damit nimmt im Winter wiederum der CO²-Ausstoß zu.

Der Mensch neigt im Winter dazu, sich auch in seiner Freizeit in seine eigenen Räumlichkeiten zurückzuziehen. Viele Nordhalbkugelbewohner leiden im Winter unter chronischem Bewegungsmangel in unterschiedlichen Schweregraden. Die Haut vermisst das Licht sowie die tägliche Sauerstoffberieselung genauso wie die Lunge. Im Sommer muss man lediglich vor die Tür gehen, um sich zu bewegen. Im Herbst und Winter muss man sich dagegen aufraffen, überhaupt vor die Tür zu gehen. Außen-Aktivitäten müssen regelrecht geplant werden, mit Anfang und Ende und womöglich muss man gar wieder erst irgendwo hineingehen, um die häusliche Herumsitzerei in überheizten Räumen nur nicht Überhand nehmen zu lassen.

Hinzu kommt die wörtlich gemeinte, gefühlte Kälte. Es gibt wohl kaum etwas Angenehmeres für wintergeplagte Nordeuropäer, als morgens aufzustehen – und nicht zu frieren. Der Sommer fühlt sich einfach besser an, auch weil die nackte Haut im Norden nur in dieser Jahreszeit Frischluft erfahren kann. Im Winter dagegen drohen jeden Morgen gleich diverse Kälteschocks - aus der Luft, unter der Dusche – nur schnell in den Morgenmantel. Wer es endlich in mehrere Schichten verpackt vor die Haustür, schafft, bekommt die nächste Kältedusche. In kalten Wintern läuft der Mensch also zwangsläufig ständig von Kopf bis Fuß verhüllt herum.

Und dann die Schlepperei dieser Klamotten, die wegen der unterschiedlichen Beheizung unterschiedlicher Räume hier und dort auch auf dem Arm transportiert werden müssen: Mäntel, Jacken, Mützen, Handschuhe, Regenschirme, Schals – natürlich alle aus schweren, wind- und wasserfesten Materialien. Glücklicherweise ist das ganze Zeug seit ein paar Jahren schon ein bisschen einfacher handhabbar geworden: leichtere Materialen als nur Wolle, Leder und Pelz. Trotzdem: Kein Wunder, dass Skandinaiver und Kanadier zu dieser Jahreszeit so häufig an südlichen Stränden anzutreffen sind.

Die Kombination von geheizten Innenräumen und kalter Außentemperatur bedarf nun einmal eines ständigen Bekleidungswechsels. Also heißt es wieder monatelang: Anziehen, ausziehen, anziehen, wieder ausziehen. Täglich stundenlang befasst sich der gemeine Nordhalbkugelbewohner mit dem Wechsel seiner Textilien – und dazwischen schwitzt oder friert er abwechselnd. Kommt starker Regen hinzu ist zum wärmenden Unterkleid auch noch eine wasserabweisende Schutzschicht notwendig. Mit der ist, je nach Aufenthaltsort, der Wechsel zwischen Schwitzen und Frieren ebenfalls über Monate noch viel besser gesichert.

Bei nasser Kälte, in Norddeutschland ähnlich wie auf den britischen Insel eine häufig anzutreffende Wetterlage, mag man keinen Hund vor die Tür schicken. Der Mensch muss es ertragen und sich mit Regenzeug und Regenschirm durch die Elemente kämpfen. Und dann soll der Klimawandel in den nächsten Jahren in Deutschland auch noch für immer weniger Schnee und noch mehr Regen sorgen, kaltem wohlgemerkt. Die Wissenschaft meint dazu: Kältebedingte Krankheiten würden ab-, wärmebedingte zunehmen. Doch Obacht: Auch die Winterfreuden in trockener Kälte – Skilaufen, Rodeln, Eislaufen und Co – nehmen dann genauso ab. Das heißt der Winter der Zukunft klingt jetzt nach wenig Spaß, außer für Anhänger des britischen Lebensstils, die mit ihrem ausgeprägtem Sinn für Five-O’Clock-Tea-Gemütlichkeit gesegnet sind, wenn es draußen nur noch schüttet.

Doch der Winter hat durchaus seine Vorteile. Der Aufenthalt im sommerlichen Freien zahlreicher sich kindisch benehmender Erwachsener im Ganzkörpereinsatz ist u.a. nicht in jedem Fall ästhetisch. Im Winter ist es dann so einfach für Schönheitssinnige: Man meidet einfach öffentliche Schwimm- und Sportstätten. Im Sommer kann man sich dagegen vor lauter radelndem, skatendem, sich sonnendem, joggendem Volk gar nicht mehr retten, egal wohin man auch blickt und geht.

Und noch etwas gestaltet die schönsten Wochen des Jahres obskur: Die Sonne strahlt und beleuchtet gnadenlos alles, dass einem bange werden kann. Der Hochsommer im Norden ist Spotlight pur - die Sonne scheint senkrecht von oben, nichts bleibt mehr verborgen. Das kann zwar auch sehr schöne Farbspiele ergeben und so einiges erst ins richtige Licht setzen, doch genau so gut auch unerträglich krass ausfallen. Die Sonne kann ja nichts dafür. Nichts bleibt vor ihr sicher, ohne Erbarmen wird jedes Kleinigkeit sichtbar. Kein gnädiger Nebel, sanfter Schnee, kein diffuses Licht und kein weiter Mantel relativieren Konturen oder Kilos. Keine weiche Mütze und kein sanfter Regen diffundieren störrische Haare oder die Kantigkeit grauer Stadtmauern. Kein Wind und keine Winterjacke lenken von beleibten Bäuchen oder vermüllten Grünflächen ab. Im Sommer, das vergessen die Nordeuropäer während der langen Wintermonate allzu leicht, sind die Linien sehr scharf und liegen Licht und Schatten - ohne Pause, ohne Übergang - sehr dicht beieinander.

Ein großer Vorteil des Winters sowohl für Stadt- als auch Landbewohner, die sich den Winterspaziergang nicht nehmen lassen wollen: Mit Glück, und wenn der Klimawandel noch etwas auf sich warten lässt, sind Hundehaufen im Winter eingefroren. Nicht nur der Fußgänger hat den stinkenden Kram damit nicht mehr unter den Schuhsohlen kleben, sondern auch Rad- und Rollstuhlfahrer nicht unter ihren Rädern. Seltsamerweise sind im Winter auch mehr Hunde angeleint als im Sommer, was etwas verwundert, schließlich ist es draußen im norddeutschen Winter ganz im Gegensatz zum Sommer nicht selten menschenleer, und man hätte doch viel Platz für sich.

Außer für Autofahrer ist ein schneereicher Winter in der Stadt etwas Feines. Er deckt die im Sommer viel zu gut sichtbaren Staubschichten ab, blickdicht, mit einer weichen, weißen Decke. Das grausame Erwachen kam manchmal erst Monate später mit der Schneeschmelze, - inzwischen eher gleich mehrmals im Winterhalbjahr. Und deshalb freuen wir uns manchmal sogar über eisige Kälte, zumal diese auch gleichzeitig dafür sorgt, dass im Winter wieder vermehrt in den eigenen Räumlichkeiten getrunken und gepöbelt wird- und nicht auf öffentlichen Plätzen. Damit wird das im Sommer zum öffentlichen Raum fast schon gehörende Belästigen in kalten Wintern regelmäßig wieder zum Privatproblem einiger weniger, statt aller.

Dabei hat der Aufenthalt im Freien bei Kälte und Wind einen erstaunlich positiven Effekt: Braucht man im Sommer mindestens einen Aufenthalt am Meer oder eine Wanderung auf einen Berggipfel, um genug Sauerstoff in gesundheitsfördernder Dosis zu tanken, reicht im Winter allein der Gang zum Auto inklusive frühsportlichem Scheibenkratzen: Man wird derart durchgepustet und schockgefrostet, dass zehn Minuten Frischluft im Winter durchaus einen ähnlichen Kick für Lungen, Haut und Kreislauf haben können, wie mehrere Stunden im Juni, Juli und August.

Und erst die Gäste im Winter. Während diese zur Sommerparty bei dreißig Grad im Schatten und stehender Luft grundsätzlich – die Ärmsten können nichts dafür – in einer allseits bekannten Mischung aus Schweiß und angeblich betörenden Sommerparfums hereingemüffelt kommen, wehen exakt diesselben Personen im Winter frisch gepustet, mit roten Wangen und glänzenden Augen wörtlich wie ein Sturm herein, mit nichts anderem als dem aszinierenden Duft eiskalter, frischer Luft - auch wenn die Frisur nachweislich leidet. Dieser frische Geruch hält sich sogar eine Weile und wirkt bereits ab Windstärke fünf bis sechs nachhaltig positiv auf die Seele. Allein schon deshalb ist die Eröffnung der Partysaison erst im Herbst und Winter eine sinnvolle Angelegenheit.

Haare im Sturm Doch, wahrlich, das Aufstehen und Hinausgehen in der kalten Jahreszeit ist und bleibt eine Überwindung. Da muntert es wohl kaum jemanden auf, dass es im Winter keine lästigen Mücken gibt, oder dass zum Eisholen, für den Bier- oder Salattransport jede Kühltasche überflüssig wird, oder es gar nicht schlimm ist, das Hähnchen, die Milch und den Joghurt eine Stunde im eiskalten Auto stehen zu lassen, der als externer Kühlschrank dient. Ohne das alles, Auto, Heizung, Mäntel, Mützen, also ohne eine entsprechende Ausrüstung, geht gar nichts im teuren Winter.
Die dunkle Jahreszeit ist indes auch die, in der man die Dinge wieder zu schätzen weiß, die man hat oder die man sich leisten kann. Aber sogar im Winter kann man sparen, zumindest umschichten: Wer bei jedem Wetter zur Arbeit muss, spart während der Arbeitszeit wenigstens die Heizkosten zu Hause.

Und der nächste Sommer kommt bestimmt, spätestens in einem halben Jahr, mit seinen Mücken, seinem Lärm, der gleißenden Sonne, der stehenden Luft, den staubigen Straßen, den nackten Bierbäuchen, den wahlweise schwitzenden oder nicht anwesenden Mitarbeitern, weil alle im Urlaub sind, der im Dauerbetrieb irre teuren Klimaanlage - und in seiner ganzen, geballten Leichtigkeit. Vorfreude kann so schön sein. Freuen Sie sich doch einfach auf den nächsten Sommer, einen Sommer in Missoni*

*Vor dem Hintergrund der gerade zu Ende gehenden Fashionweeks. Die Geschmäcker, wer die Farben des Sommers am besten eingefangen hat, sind selbstverständlich verschieden.


2008-10-01 Angelika Petrich-Hornetz, Wirtschaftswetter (aktualisiert, 2016-10-01)
Text: ©Angelika Petrich-Hornetz
Fotos Themenbanner: ©ap, Cornelia Schaible
Illustrationen: ©Angelika Petrich-Hornetz
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