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Die Frau im Mantel

Folgt die nächste bürgerliche Uniformierung?
von Angelika Petrich-Hornetz

Was war denn das? Bis inklusive 2017 stellten die ab September zelebrierten Fashion-Weeks in den Metropolen New York, London, Mailand und Paris stets eine willkommene Abwechslung im frühherbstlichen Einerlei dar. Endlich gab es wieder einen Ausblick auf den kommenden Frühling und Sommer, auf beschwingte Kleider, warmes Wetter - und nicht zuletzt die Urlaubszeit. Das ließ zumindest stundweise alles vergessen, was uns bei rapide sinkenden Sonnenstunden gegenwärtig wieder alles an Hässlichkeiten in Politik und Wirtschaft serviert wird - und vor allem regelmäßig Vorfreude aufkommen. Die diesjährigen Fashionweeks für die Sommersaisin 2019 fielen allerdings ganz anders als erwartet aus. So viel prophezeite Düsternis für's nächste Jahr gab ess noch nie.

Die Wirtschaft 2019 - ein Faltenrock in Bordeaux oder Schwarz?

Auch wenn der Rocksaum-Index, des Ökonomen George Taylor (!) 1926 entdeckt, von seinen modernen Kollegen heutzutage angezweifelt wird: Den auf allen Laufstegen im September 2018 sichtbar übers Knie, bis zur Mitte der Wade oder gar auf die Knöchel sinkenden Rocksäumen nach zu urteilen, kann es im kommenden Jahr 2019 mit der Wirtschaft nur rapide bergab gehen. Als vor 90 Jahren, 1929 die Weltwirtschaftskrise ausbrauch, mussten die Damen, die noch kurz zuvor ihre schönen Beine in teuren Seidenstrümpfen präsentierten, die billige Nylonware wieder unter langen, düsteren Röcken verbergen. Selbst, wer es sich noch leisten konnte, wollte in solchen Zeiten schließlich alles andere als auffallen. Die lebenslustige, arbeitende und selbstbestimmte Dame im schilllernd-bunten, kurzen Rock, die sich auf diesem Planeten im Übrigen bis heute lediglich vereinzelt, in überschaubaren Gruppen oder temporär, aber nie flächendeckend oder gar international durchsetzen konnte, wurde von der zeitgemäßeren, wieder in in Sack und Asche hochgeschlossen gekleideten und gebeugten Frau abgelöst. In den gegenwärtig überall angestellten Vergleichen zwischen damals und heute, vermittelt die Historie zusammen mit den nun präsentierten Faltenröcken in Bordeaux und Schwarz damit nicht gerade eine prosperierende Entwicklung.

Was wir im September in den Schauen als Trend für die Sommersaison 2019 gezeigt bekamen, war genau das: der komplette Rückzug in Unmengen Stoff, von weitestgehend blassen Gestalten, ungeschminkt vorgeführt. Nur ja nicht auffallen, oder auf die Spitze getrieben? Selbsternannte Verhüllungsexperten für die weibliche Statur dürften damit jedenfalls weltweit gejubelt haben. Sie haben vorläufig gewonnen. Nur wenige Ausnahmen bestätigten diese in Unmengen Textilie genähte Regel. Ein besonderes "Highlight" der kommenden Sommer-Düsternis 2019 stellte dabei ausgerechnet der Faltenrock dar, der rein ästhetisch betrachtet, eigentlich nur bis zum Knie einigermaßen ansehnlich wirkt. In der Form gibt er sich immerhin praktikabel ist, weil er jede Bewegung mitmacht und deshalb auch immer wieder auf dem Tennis-Platz seinen Dienst tut.

Aber in wadenlang? Selbst so manches zu dünne Model in New York, London, Mailand und Paris wirkte darin lediglich überladen, nur handelte es sich um ein deutliches Übergewicht an Stoff. Den Betrachtern solcher Vorschläge ereilte regelmäßig das pure Mitleid. War jemand Nahestehendes verstorben? Handelte es sich um ein in dem Fall angemessenes Kleidungsstück für den Gang auf einen Friedhof? Nein, es handelte sich tatsächlich immer noch um die angekündigte Somersaison 2019. Da musste man sich beim Zusehen durchaus mehrmals zwicken, dass man sich tatsächlich noch in der Gegenwart einer gut ausgebildeten und selbstbewussten Frauengeneration befand, der man auf den Laufstegen im September 2018 ihr vor hundert Jahren hart erkämpftes Wahlrecht äußerlich tatsächlich nicht mehr ansehen konnte. Komplettiert wurde diese angekündigte Trauerbeflaggung der Frau für Sommer 2019 durch dazu passende, depressive Farben in Bordeaux, undifinierebarem Braun, Grautönen, Braun-Grau, Khaki-Grün oder gleich in komplettem Schwarz. Der dann tatsächlich noch mehrfach gezeigte, schwarze, bodenlange Faltenrock als Synonym für den Sommer 2019? Das kann wohl nur eine kommende Katastrophe noch unbekannten Ausmaßes bedeuten.

Oder lieber unbeweglich und blickdicht verschlossen?

Mode ist ja auch immer politisch, Modedesigner sind zudem Künstler. Man könnte ihnen also durchaus latent eine gezielte Kritik an bestehenden Verhältnissen unterstellen. Als "Alternative" zum Faltenmonstrum wurde evtl. deshalb u.a. auch der Stiftrock wieder ausgegraben, ebenfalls in dunklen Farben, häufig schwarz wie die Nacht und züchtig das Knie bedeckend oder bis zur Mitte der Wade. Die 1950er Jahre lassen grüßen. Dieses Kleidungsstück hat ähnlich wie der knöchellange Faltenrock einen Nachteil: Die Frau darin kann sich nicht mehr bewegen und schon gar nicht mehr (weg-)laufen. Der veraltete Kellnerinnen-Rock ist für die ihm angedichtete Berufsgruppe damit definitiv nicht geeignet und von der Branche dementsprechend längst eingemottet. Gepaart mit einer häufig gezeigten flachen Fußbekleidung, kann die Trägerin dennoch höchstens noch eingeschränkt latschen oder in Highheels gesteckt, lediglich wenige Meter in Mini-Schritten trippelnd zurücklegen. Das wirkt auffällig hilflos. Dazu passend wurden die Oberteilte für den Sommer 2019 konzipiert, nämlich hochgeschlossenen und durchgehend blickdicht, zusätzlich mit langen Ärmeln (für den Sommer wohlgemerkt) versehen. Was damit 2019 neben ansehnlichen Beinen weltweit ebenfalls fehlen wird ist das Dekolletee. Selbst Designer, die sich noch an kürzere Röcke wagten, verzichteten weitestgehend darauf und verschlossen obenherum vollständig. An Stelle dessen waren sogar Stehkragen bis zu den Ohren zu bestaunen. Auf die buchstäbilche Spitze getrieben, wurden die hochverschlossenen Oberteile nicht selten auch noch mit oppulenten, unvorteilhaften Rüschen dekoriert. Aber das war noch nicht der Höhepunkt der SS-2019-Schauen.

Gespenster der Vergangenheit

Einen Höhepunkt übler Aussichten für den nächsten Sommer erreichten einige Designer im September 2018 mit bodenlangen Kleidern, deren Stil dem ausgehenden 19. Jahrhundert entsprachen, mit langen Ärmeln, dazu voluminöse Volants und Rüschen, in denen es sich höchstens noch nutzlos herumstehen ließe. Vervollständigt wurden die Museumsstücke hier und dort durch dazu "passende" Hüte mit Schleiern und Schleifchen aus einer längst vergessen geglaubten Stilepoche, so dass selbst das Gesicht bedeckt war. Dafür gab es jede Menge Stoff, Lagen über Lagen über Lagen zu sehen, gekrönt von Spitze in dunklen Farben obendrauf, die bei einigen Shows tatsächlich wie Gestalten aus schlechten Horrorfilmen wirkten.

Immerhin, diverse Hosen erschienen zum Teil weit und bequem geschnitten. Wnigstens ein Vorteil, seufzten einige Zuschauer bereits erleichtert auf, froh dem Schauspiel noch etwas Postives abgewinnen zu können, doch die vervollständigte Blickdichte war auch hier gegeben. Ähnlich wie die überlangen Ärmel, fielen auch die Hosenbeine möglichst überlang aus, mit und ohne Knöchel- oder Wadenbein-Schlitz, von dem wir nicht wissen, ob wenigstens das verhüllte Bein damit im Sommer 2019 etwas frische Luft schnappen sollte. Wer jetzt aber dachte, den eigenen Augen würde dem folgend nun endlich etwas Leichteres, Sommerlicheres präsentiert, wurde gleich wieder durch knallenge Radlerhosen enttäuscht, die bei manchen Designern das einzige waren, das dem Knie Freiheit ließ. Gezeigt wurden diese oft in Kombination mit riesigen Jacken, deren Sinnhaftigkeit, gerade in der Kombination, bei hohen Sommertemperaturen zweifelhaft sein dürfte und deren Bewegungsfreiheit damit leider am Bein auch wieder zunichte gemacht wurde. Die Models trippelten, in den Dingern eingepresst, genauso über den Laufsteg wie in den Stiftröcken.

Vergraben in Riesenmänteln und Riesenjacken

So viele überlange Jacken und Mäntel über den oder anstelle der angeblich sommerlichen Outfits gab's bei SS-Schauen bishlang wohl kaum zu sehen. Und was sollten diese bodenlangen, schweren Mäntel im Sommer, die bei 30 Grad im Schatten eh niemand ohne Gefahr für Leib und Leben tragen kann? Spätestens angesichts derer vergewisserten sich sogar einige Besucher vor Ort lieber noch einmal per Smartphone, ob sie sich jetzt wirklich in einer SS19-Show befanden oder die Tür verwechselt hatten und in Wirklichkeit die Mode im Herbst/Winter 2019 zu sehen bekamen, für den das Gezeigte wenigstens einigermaßen passend gewesen wäre. Bis auf wenige, sichbare Ausnahmen, u.a. Versace vermittelten die Fashion-Shows im September 2018 somit vor allem eines: Düsternis
Selbst hoch-innovative Häuser passten sich dem auf weite Strecken zu sehenden Einerlei in Form und Farbe an und scherten nicht aus, u.a. Chanel nicht. Auch bei Missoni waren die Farben SS 19 deutlich zurückhaltender. Es leuchtete einfach nichts mehr, wie noch im Jahr zuvor. Dagegen gab es überall sehr viel Schwarz zu sehen. Bei den optimistischeren Übersetzern dieses schwer verdaulichen Cat Walk-Trends wurde es immerhin bunt untebrochen. Sogar ein Weiß wirkte in vielen Schauen weniger wie ein weißes Segel, eine Sommerwolke oder ein Zitronen-Eis, sondern lediglich noch: klinisch.

Bei so viel Widerspruch zwischen dem Präsentierten und dem, was gewöhnlich mit einem Sommer verbunden wird, wie z.B. Leichtigkeit und warme Temperaturen, ließ sich die Frage einfach nicht vermeiden, was uns die Designer damit sagen wollen, welche Botschaft sie mit ihren Entwürfen möglicherweise vermitteln wollten - u.a. vielleicht auch nur, dass das Geschäft knallhart geworden ist? Was wussten sie, was spürten sie, was sahen sie für den Sommer 2019 voraus, das wir, das über dieses viel zu dunkel und zu kalt wirkende Angebot betrübte Publikum, noch nicht wussten?

Die Frau im Mantel

Und dann tauchte sie auf, die vermisste Antwort, die Aufklärung, das Role Model der Shows für Frühling/Sommer 2019 auf ein Urformat reduziert, und zwar bei Balenciaga. Die erste Kreation: Sie trug offensichtlich nichts - außer Schuhe und einen Mantel. Er war schwarz und ging bis zum Knie. Ihre kurzen (?) Haare streng zurückgekämmt. Er hatte Nadelstreifen und breitegeschneiderte Schultern, sie nackte Beine, die in spitzen Nietenpumps steckten. Es folgten weitere Variationen, die langen Ärmel in bequemer Weite. Es blieb schlicht und wurde bunt - kurze Mäntel in unterschiedlichen Materialien und Farben - Pink, Rosa, leuchtendes Blau- mit und ohne Strümpfe. Oft hatte sie nicht einmal eine Tasche dabei - sondern zwei Hände frei. Sichtbar waren nur die Beine, die Hände, Haare, das Gesicht, der Rest: Sihouette, Umrisse, angedeutete Taille, breite Schultern. Sie blieb im Ungefähren, Undefinierbaren, aber sie konnte sich bewegen. Das war ein Statement, aber ein anderes als zuvor.

Prompt denkt man an den "Gehrock", wie ihn u.a. auch Bundeskanzlerin Merkel manchmal trägt - und dann an einen Anzug, dem global gleichlautenden Kleidungsstück für's Geschsäftsleben, das selbst im weiblichen Kostüm oder Hosenanzug - in der amerikanischen Version immer mit kurzer Perlenkette - nie ein ädequates Gegenstück gefunden hatte.

Barbara Vinken beschrieb 2013, wie die französische Revolution den geschmückten Mann erstaunlich erfolgreich bis in die Gegenwart abschaffte. Bis dato staffierten sich Männer ähnlich wie Frauen, und das jahrhundertelang, sorgfältig aus - gut ablesbar an historischen Kostümen. Am Ende des Absolutismus stand der aufwendig angezogene Mann nur noch für unbotmäßigen Reichtum, Machmissbrauch, Unterdrückung. Mit der Revolution hatte der französische Höfling für immer ausgedient - zumindest der sichtbare.
Nun wurde der männliche Körper uniformiert. Bürgerliche Herren kleideten sich fortan schlicht und schlichter. Das galt irgendwann auf einmal als typisch männlich. Die Wege von Mann und Frau trennten sich, zeichnet Vinken die Entwicklung seit 1830 in ihrem Buch - "Angezogen - Das Geheimnis der Mode" (2013) - nach. Wer es liest, erfährt u.a. auch, dass Leggins und Röhrenjeans eine ähnliche Silhouette wie die blickdichten Strumphosen der männlichen Aristokraten vor der französischen Revolution ergeben. Sie dagegen begann sich irgendwann wieder zu schmücken. Er blieb - ein paar Ausnahmen und kurze Unterbrechungen inbegriffen - im Anzug stecken, und darin steckt er noch heute.
Der Frau im Mantel könnte nun ein ähnliches Uniformierungs-Schicksal bevorstehen. Die wechselnden Farben, in denen sie steckt, vermitteln indes noch Hoffnung, dass weder die Frauen noch der Sommer bereits im Jahr 2019 ausschließlich blickdicht oder gar in schwarzen, knöchellangen Falten daherkommen werden. Und einige Zwischenschauen der jüngsten Vergangenheit könnten zumindest für eine langfristig wieder etwas differenziertere sowie form- und farbfrohere Entwicklung sprechen, doch um die Frau im schlichten Mantel kommt seit ihrem Auftritt 2018 auch niemand mehr so einfach herum.


2018-12-09, Angelika Petrich-Hornetz, Wirtschaftswetter
Text: ©Angelika Petrich-Hornetz
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