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Hungersnöte und der Kampf ums Futter

Um die knapper werdenden Getreide-Ressourcen bringen sich nun auch die Tierfutterproduzenten in Stellung

von Angelika Petrich-Hornetz

Die sinkenden Getreideerträge sorgen für weltweiten Hunger, der durch mehrere, weitere Faktoren beeinflusst wird: Während an den Börsen nach wie vor mit Nahrungsmitteln spekuliert wird und damit Preise steigen sowie stark schwanken, verschärft sich die Situation zur Zeit durch Ernteausfälle, vorhersehbare und unvorhersehbare Dürren, andere Naturkatastrophen, eine steigende Nachfrage und durch weitere Ereignisse, wie politische Unruhen, dramatisch.

Die UN-Ernährungsorganisation "Food and Agricultur Organization (FAO)" schätzt, dass weltweit über 900 Millionen Menschen hungern und zwei Milliarden Menschen unter Mangelernährung leiden, die meisten davon in Asien und Afrika, dort größtenteils in der von West nach Ost langgestreckten Sahelzone südlich der Sahara. 2012 wurde die Sahel besonders von einer tödlichen Kombination aus Dürren, hohen Lebensmittelpreisen sowie Armut und Vertreibung - durch politische Unruhen - getroffen. Dort ertragen allein rund 16 Millionen Menschen Mangelernährung und Hunger, darunter etwa vier Millionen Kinder unter fünf Jahren.

Hunger definiert die Nichtregierungsorganisation "Welthungerhilfe" als täglich zu niedrige Energiezufuhr über einen längeren Zeitraum, so dass ein gesunder Körper und ein aktives Leben nicht mehr möglich sind. Durchschnittlich benötigt ein erwachsener Mensch für ein normales Leben etwa 1800 Kilokalorien täglich, außerdem Vitamine und Mineralstoffe. Bekommen Menschen zwar ausreichend Kalorien, aber leiden unter Vitamin- und Mineralstoffmangel, nennt man das "versteckten Hunger". Babys und Kleinkinder können Mangelernährung und Hunger auch bei später besserer Ernährung nie wieder kompensieren, ihre Entwicklung wird durch in der Kindheit erlittenen Hunger und Mangelernährung lebenslänglich geschädigt und bleib damit unumkehrbar.

Vor diesem Hintergrund - und damit in die Aktualität einer drohenden humanitären Katastrophe in der Sahelzone platzend - will sich nun der "Der Deutsche Verband Tiernahrung e.V." (Umsatz etwa 6,7 Milliarden Euro) in die Diskussionen um die Sicherung von Rohstoffen mit der Forderung nach politischer Unterstützung für den deutschen Nutz- und Heimtiermarkt einbringen.
In einer Pressemitteilung des Verbandes aus dem September heißt es, dass die aktuell hohen Preise auf den Getreide- und Futtermittelmärkten nicht nur eine Folge schlechter Ernten seien, sie seien auch einer strukturellen und steigenden weltweiten Nachfrage geschuldet. Deshalb fordere man mehr politische Unterstützung für eine langfristige Rohstoffstrategie zur "Standortsicherung für die Tierhaltung in Deutschland.".

Dafür schlägt der Verband ein "Zweisäulen-Modell" vor: einen weltweiten Zugang für Agrar- und Futtermittelrohstoffe sowie einen praktikablen "Umgang mit Rohstoffen aus gentechnisch veränderten Nutzpflanzen". Außerdem verlangt der Verband "eine vollständige und nachhaltige Nutzung aller Flächen und Ressourcen in Europa" - zugunsten der Tierernährung - und stellt sich hier insbesondere gegen das Projekt "Greening" der EU-Agrarreform, die einen Wegfall von Ackerfläche vorsieht.

Zweitens, ist der Verband der Meinung, sollten sich Forschung und Entwicklung mehr um Futtereffizienz und nachhaltige Fütterung bemühen - und sieht hierfür u.a. auch die Forschungsförderung in der Pflicht. Der Verband greift außerdem die aktuelle "Tank-oder-Teller"-Debatte auf, um eine zu hohe Förderung und wachsende Ackerfläche von Biogasmais zu kritisieren, die, so der Verband weiter, viel eher die "Futtergundlage" für die Tierproduktion entziehe - als Biokraftstoffe oder E10.

Doch was wollten die Verbandsmitglieder andernfalls tun, wenn ihre Forderungen nicht erfüllt werden? Nach Asien auswandern? Man könnte sagen: Verständlich, es ist so wie es ist, der Mangel ist real - schließlich geht es vor allem um die Futterproduktion für Nutztiere, die ihrerseits eine große Rolle in der Ernährungsindustrie spielen. Und was die Haus- und Heimtiere betrifft: Es gibt in großen Städten inzwischen sogar soziale "Tafeln" für Heimtiere", die u.a. kostenloses Hundefutter an arme Tierbesitzer verteilen, die auch unter steigenden Nahrungs- und Futtermittelpreisen leiden. Aber man könnte auf der anderen Seite dem Verband angesichts der aktuellen Hungersnöte auch genauso sagen: Die sollten sich etwas schämen. So setzte die Heimtierfutterbranche allein mit Heimtier-Fertignahrung laut Angaben des Industrieverbands Heimtierbedarf (IVH) e.V. im Jahr 2011 2,87 Milliarden Euro um, +0,5 Prozent mehr als 2010.

Aber welche Sichtweisen auch vertreten werden mögen, es läuft dabei auf dasselbe hinaus, nämlich auf eine zunehmende Härte von weltweiten Verteilungskämpfen um Agrarstoffe: Getreide in den Tank, ins Rind, in den Hund oder in den Menschen?, - mit der Betonung auf "oder". Ein "und" ist in vielen Weltregionen längst schon ausgeschlossen, in Zukunft sind es noch mehr.
Und genauso so hässlich, wie es klingt, wird es auch werden: Man wird sich entscheiden müssen, jeder einzelne, alle zusammen oder alle gegeneinander - oder auf irgendeine Arte und Weise wird über uns und andere entschieden werden. Dass die Tierfutterproduzenten also gerade jetzt ihre Sichtweise darlegen, ist daher nachvollziehbar, doch sie sollten bei diesem heikelsten Thema aller heiklen Themen sowohl dementsprechend sensibel handeln als auch verhandlungsbereit sein. Es ist heute nämlich eine ganz ernstzunehmende Frage, ob man angesichts der immer knapperen Ressourcen überhaupt noch große Forderungen stellen kann. Es könnte auch sein, dass es nicht mehr lange dauert, bis ein breiterer gesellschaftlicher Konsens entsteht, der Nahrungsmittelspekulationen als Tabu ächtet.


2012-10-01 Angelika Petrich-Hornetz, Wirtschaftswetter
Text: ©Angelika Petrich-Hornetz
Fotos Banner: ©ap
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