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Bio-Lebensmittel: Innen hui, außen pfui

Lebensmittelverpackungen als Risiko

von Juliane Beer

Die Biowelle boomt. Kein Discounter oder Drogeriemarkt, in dem sich heutzutage nicht zumindest ein Grundsortiment an biologisch erzeugten Säften, Suppen, Snacks und Müslis findet. Eine lobenswerte Modeerscheinung? Nicht ganz. Das Biosiegel muss sich zwar auf den Inhalt beziehen, nicht immer aber auf dessen Verpackung. Besonders im Falle von Getränkekartons ist man gut beraten, diese in den Regalen stehen zu lassen, Biosiegel hin oder her.

Das Problem ist seit langem so bekannt wie verschwiegen: Saft- und Milchkartons werden erst bedruckt und gefaltet, dann befüllt. Beim sogenannten Druckrollverfahren kommt es zum Kontakt zwischen Innen- und bereits bedruckter Außenseite. Somit gelangen Druckchemikalien in Milch, Wein, Bio-Saft oder Sojadrink.
2005 wurde die Druckchemikalie Isopropylthioxanthon (ITX) in Babymilch-Verpackungen gefunden. Länder wie Frankreich und Italien reagierten zügig - und nahmen Saft- und Milchkartons aus den Regalen der Supermärkte. In Deutschland ging man gemächlicher vor. Das Verbraucherministerium hielt die Sache unter Verschluss, handelte mit der Industrie einen Deal aus. Dafür, dass belastete Milch nicht mehr ausgeliefert werden durfte, wurden Säfte in Kartons noch für ein Jahr erlaubt.
Lediglich der Deutschen Umwelthilfe (DUH), die auf eigene Kosten Proben nehmen ließ und feststellte, dass der Gehalt an chemischen Rückständen in einigen Säfte um das 10-Fache des Unbedenklichkeitswerts erhöht war, ist es zu verdanken, dass der Verbraucher erfuhr, was er sich zusammen mit einem Biosaft einverleibte. Leider zu spät. Die Säfte waren bereits entsorgt. Durch die Kehlen des Bundesbürgers.

ITX wird mittlerweile nicht mehr für das Bedrucken von Getränkekartons verwendet, wie man auf der Internetseite eines der führenden Herstellerunternehmen lesen kann.
Von dessen Fernsehwerbung, in der ein Zeichentrickfigürchen über Karton als nachwachsenden Rohstoff informiert, sollte man sich allerdings nicht in die Irre führen lassen. Über die Druckchemikalien auf und in der Packung schweigt besagtes Figürchen sich nämlich aus. Was nicht heißt, dass mittlerweile darauf verzichtet wird. Statt ITX verwendet man jetzt andere Chemikalien, zum Beispiel Benzophenone - aus Druckerfarben, die in den USA als krebserzeugend eingestuft und verboten wurde - und auch in Sonnenschutzcremes u.a. kosmetischen Produkten Verwendung finden.
Das Verbraucherschutzministerium stand bislang für ein Interview zu diesem Thema noch nicht zur Verfügung - aus Zeitmangel, hieß es.

Eine Anfrage im Februar 2011 bei der Stiftung Warentest ergab, dass die auf deren Internetseite getesteten Sojadrinks in der Sparte Schadstoffbelastung zwar durchweg gut abschnitten, jedoch auf Druckchemikalien nicht getestet wurden.
Weitere Anfragen im selben Monat bei drei Drogeriemarktketten, zwei Discountern und einer Biosupermarktkette bezüglich des Gehalts an Druckchemikalien in ihren Bio-Sojamilchprodukten blieben fast gänzlich unbeantwortet: Lediglich ein Unternehmen war bereit, sich zu äußern, allerdings nicht auf unsere Frage. Man erklärte uns lediglich, dass es "ein großes Anliegen" sei, hochwertige Produkte anzubieten. Dass der Kontakt von Lebensmitteln mit bedruckten Verpackungen ein Risiko berge, sei bekannt. Deshalb biete man Zwieback in Verpackungen mit zusätzlichem Innenbeutel an.

Wer jetzt denkt, dass man in Sachen Sojadrink doch einfach auf alternative Verpackungen umsteigen kann, erlebt eine böse Überraschung. Sojadrink hinter Glas beispielsweise wird höchstens aus Versehen angeboten. Lediglich die Firma Bruno Fischer bietet Flaschen in einem von neun Bioläden an, wie ein Streifzug durch Berlin ergab. Hersteller, die hier vergessen wurden, werden um Entschuldigung gebeten und aufgefordert, sich zu melden, um die bislang eher klägliche Liste zu ergänzen.

Das Verkaufspersonal reagiert auf Fragen zum Thema übrigens recht unterschiedlich: Während es sich im Drogeriemarkt und Discounter vollkommen ahnungslos zeigt, reagiert das Verkaufspersonal im Biosupermarkt peinlich berührt bis ratlos.

Und statt endlich zum alten guten Glas zurückzukehren, sind neuerdings selbst Babyfruchtsaft-Hersteller auf Getränkekartons umgestiegen, weil die unzerbrechlichen Plastikflaschen aufgrund von Weichmachern in die Kritik geraten sind. Der Verbraucher hat nicht einmal mehr die Wahl zwischen Erbgutschäden und Krebs. Das Recht auf Information sowieso nicht.

Was hier helfen könnte, wäre massiver Verbraucherprotest. Doch dazu müsste das Bundesverbraucherschutzministerium seine Rolle als Industrieschutzministerium aufgeben und sich seiner eigentlichen Aufgabe widmen: der Information und Aufklärung und nicht zuletzt dem Schutz der Konsumenten.


2011-04-01 Juliane Beer, Wirtschaftswetter
Text: ©Juliane Beer
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