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Winter - Wer stürzt, ist selber schuld

Die Winterdienstpflichten werden in München mit zweierlei Maß gemessen

von Annegret Handel-Kempf

Verschneites Dorf Vorsicht: Wer in diesen Tagen bei Schnee und überfrierenden Flächen auf den Münchner Straßen und Gehwegen unterwegs ist, könnte leicht aufs Glatteis geführt werden. Einerseits, wenn er an normal frequentierten Stellen mit gut geräumtem und gestreutem Untergrund rechnet. Andererseits, wenn er davon ausgeht, dass gleiche Winterpflichtregeln für alle gelten.

Für die von der öffentlichen Hand winterdienstlich zu versorgenden 2.300 Straßenkilometer greifen augenscheinlich nicht die gleichen Sorgfaltskriterien wie für Grundstücksbesitzer – 960 Kilometer blieben in der Wintersaison 2004/2005 in der Regel ungestreut. Die nicht öffentlichen Verpflichteten hingegen müssen mit Geldbußen rechnen, wenn sie ihre “Winterpflichten“ nicht erfüllen““, so das Baureferat, Stichwort: „Winterdienst“.

Gar mit Haftung und strafrechtlichen Konsequenzen droht die städtische Behörde auf ihren virtuellen Informations-Blättern, „sollten Fußgänger zu Schaden kommen oder sich verletzen.“ Dabei beziehen sich die Verfasser auf die Münchner Straßenreinigungs- und –sicherungsverordnung, nach der „alle Grundstückseigentümer außerhalb des Vollanschlussgebietes verpflichtet (sind), Gehwege von Schnee und Eis zu befreien oder sie befreien zu lassen.“

Und sie legen noch eins drauf: „Als Eigentümer müssen Sie von Montag bis Samstag in der Zeit von 7.00 Uhr bis 20.00 Uhr (am Sonn- und Feiertag ab 8.00 Uhr) den Gehweg von Schnee freihalten, bei Glätte mit Sand oder Splitt streuen oder das Eis beseitigen“, heißt es in der Rubrik „Fragen rund um den Winterdienst“.

Das klingt für Gegenden außerhalb der vollangeschlossenen Stadtbezirke Westend, Schwabing, Au, Haidhausen und Neuhausen stark danach, dass der eigene Grund tagsüber fortlaufend komplett frei geschaufelt und gesichert werden muss, wenn er zugleich ein Fußgängerweg ist. Ein zeitaufwändiges, beziehungsweise teures Unterfangen, wenn diese Mühen an kommerzielle Winterdienstler delegiert werden.

Wer selbst im Paragraphen fünf der Sicherungsverordnung nachliest, stößt auf eine weniger drastische Sachlage. Demnach sind lediglich die „Gehbahnen in ausreichender Breite von Schnee zu räumen und zu bestreuen bezeihungsweise das Eis zu beseitigen“. Diese Aktionen seien so oft zu wiederholen, wie es „zur Verhütung von Gefahren erforderlich ist“.

Doch aufgepasst: Das Auftauen mit Streusalz, das den Privatleuten in der Münchner Verordnung unter Androhung von Bußgeld untersagt wird, könnte andererseits als unterlassene Pflicht betrachtet und zur juristischen Stolperfalle werden. Etwa, wenn die Auffahrtrampe einer Tiefgarage bei gefrierendem Regen Unfälle bedingt, weil so genannte „abstumpfende Mittel“, wie Sand und Splitt, ihre Vereisung nicht dauerhaft und sicher beseitigen. Falls sich Glatteis gebildet hat, muss demnach auch Streusalz zum Auftauen verwendet werden: - So das Amtsgericht München in einem Urteil (Aktenzeichen 261 C 11411/98).

Auch die Stadt selbst setzt Salz ein, wenn auch „nur im Hauptstraßennetz und auf Straßen mit Buslinien ... . Bei Straßenglätte im Nebenstraßennetz streuen wir in Sonderfällen Splitt“, schreibt sie in den „Fragen rund um den Winterdienst“.

Rutschpartie vor dem Kindergarten

Liegen gelassener Schnee und Matsch gefrieren bei Minusgraden: Besonders gefährlich sind solche spiegelglatten Schlitterbahnen für Kinder und ältere Menschen beim Überqueren der Straße. So beispielsweise vor einem Kindergarten in Nymphenburg-Neuhausen. Dort können Autos und LKWs, die um die angrenzenden Kurven kommen, kaum rechtzeitig bremsen, wenn die Drei- bis Fünfjährigen auf diesem gefährlichen Untergrund stürzen und auch mit Hilfe Erwachsener einige Zeit benötigen, um von der großen Eisfläche unbeschadet herunterzukommen.

Am genannten Straßenabschnitt waren beispielsweise am 10. Januar weder Spuren von Splitt, noch von Salz, zu erkennen. Am Dienstag vergangener Woche, an dem der letzte Schneefall sehr lange zurück lag, stürzte dort ein Kindergartenkind auf dem dick vereisten Untergrund. Auf Nachfrage erklärte Baureferats-Sprecher Jürgen Marek, dass der städtische Winterdienst nur auf einem Drittel der Fahrbahnen Salz streue: „Die Splittstreuung erfolgt im Interesse des Steuerzahlers grundsätzlich nur nach den rechtlichen Anforderungen bei extremen Witterungsverhältnissen auf besondere Veranlassung“. Dass reagiert werde, beweise der Umstand, „dass Mitte letzter Woche“ – also um den 11. Januar herum – „ein flächendeckender Einsatz statt fand“. Bei diesem, so war am 12. Januar in der Süddeutschen Zeitung zu lesen, seien „in allen Straßen der Stadt Räumfahrzeuge unterwegs (gewesen) und streuten Splitt. Damit sollte verhindert werden, dass sich bei Sonnenschein und Frost gefährliches Glatteis bildet“, so die SZ.

Nebenstraßen sind Nebensache

Eigentlich hätte diese von Marek als „Sondereinsatz“ bezeichnete Aktion überflüssig sein müssen. Zumindest, wenn die Behauptung aus der Baureferats-Website, dass „im Anschluss“ an Fußgängerüberwege, Hauptstraßennetz und Straßen mit Busverkehr das Nebenstraßennetz geräumt werde, der Realität entspräche. Die tatsächlichen Verkehrsverhältnisse bringen PKW- und Fahrradfahrer, sowie Passanten, bei Minusgraden zum Schwitzen: Die ebenfalls in Neuhausen gelegene Tizianstraße war sogar nach dem „flächendeckenden Einsatz“ Mitte Januar eine einzige Eisfläche.

Der Baureferatssprecher argumentiert angesichts dieser Ungleichbehandlung folgendermaßen: „Aufgrund der erheblich geringeren Frequentierung von reinen Nebenstraßen durch Fußgänger und Autofahrer wäre es unverhältnismäßig, für die regelmäßige Streuung auch des Nebenstraßennetzes einen hohen Personal- und Fahrzeugeinsatz zu fahren.“

Damit Fußgänger sicher über die Straßen kommen, würden insgesamt rund 9.400 Fußgängerüberwege - beschildert oder ampelgesteuert - im gesamten Stadtgebiet gestreut. “In diesem Zusammenhang muss deshalb um Verständnis gebeten werden, dass bei winterlichen Verhältnissen nicht immer der kürzeste Weg zur Bushaltestelle etc. gewählt werden kann, wenn man sozusagen „Nummer sicher gehen will“, umrundet Marek das Problem, dem die Passanten weniger leicht ausweichen können. Denn häufig kommt selbst bei noch so langen Umwegen unweigerlich eine Stelle, wo weit und breit kein Fußgängerüberweg zu finden und ohne Überqueren der Straße kein Weitergehen möglich ist.

Der Ball wird zurückgeworfen

Die Zuständigen der Kommune können ruhig schlafen, denn der Weg der Kosteneinsparung scheint sie ans Ziel zu führen. Marek zur AZ: „Beispielhaft sei erwähnt, dass aus dem Winter 2002/2003 keine Klage anhängig war. Dies gilt auch für die Folgejahre. Im Übrigen hat die Stadt zur Absicherung der Haftpflichtrisiken eine Haftpflichtversicherung abgeschlossen.“

Es gilt wohl das Prinzip: „Selber schuld“, wie es schon die Kindergartenkinder auch in Nymphenburg-Neuhausen als Spottlied gerne singen. Ein Berufungsurteil des Oberlandesgerichtes Hamm von vorletztem Jahr zeigt in seiner Argumentation, worauf sich Glätteopfer einstellen müssen: „Ist nach einem Schneefall zu erkennen, dass ein Weg weder von Eis und Schnee geräumt noch mit abstumpfenden Mitteln bestreut wurde, so hat der Benutzer des Weges Anlass zu gesteigerter Aufmerksamkeit und Vorsicht; kommt er zu Fall, dann spricht dies (jedenfalls bei einem gesunden, nicht behinderten Menschen) in der Regel dafür, dass er die gebotene Sorgfalt außer acht gelassen hat.“ (Aktenzeichen 9 U 116/04).

Die Auskunft suchenden Bürger mahnt das Baureferat auf seiner Website unter der Fragestellung: „Wann müssen Sie zur Schaufel greifen?“: „Damit die Münchnerinnen und Münchner unfallfrei durch den Winter kommen, muss jeder seine Aufgaben erfüllen.“ Das heißt wohl im Klartext, den eigenen Grund sorgfältig räumen und streuen und auf öffentlichen Wegen, sofern sie unbedingt beschritten werden müssen, ganz, ganz vorsichtig schleichen.


2006-02-03 by Annegret Handel-Kempf, Wirtschaftswetter
Text: ©Annegret Handel-Kempf

Fotos: © Cornelia Schaible

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